Bundesverfassungsgericht stärkt kirchliches Selbstbestimmungsrecht
Bundesverfassungsgericht stärkt kirchliches Selbstbestimmungsrecht, Foto: Pixabay

Das Bundesverfassungsgericht hat in Karlsruhe eine weitreichende Entscheidung im Streit zwischen der Diakonie und der Sozialpädagogin Vera Egenberger getroffen. Die Richterinnen und Richter hoben ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts auf und verwiesen den Fall zurück nach Erfurt. Es geht um die zentrale Frage, ob kirchliche Arbeitgeber bei Stellenbesetzungen grundsätzlich eine Kirchenmitgliedschaft verlangen dürfen.

Inhaltsverzeichnis:

Streit um Vera Egenberger und die Diakonie

Im Jahr 2012 bewarb sich die aus der Kirche ausgetretene Sozialpädagogin Vera Egenberger auf eine befristete Referentenstelle beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung in Berlin. Die Aufgabe betraf die Mitarbeit an einem Bericht von Nichtregierungsorganisationen zur Umsetzung der UN-Antirassismus-Konvention in Deutschland. Sie wurde jedoch nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Egenberger klagte daraufhin wegen Benachteiligung aufgrund ihrer fehlenden Religionszugehörigkeit.

Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt entschied zunächst zugunsten der Bewerberin. Es urteilte, dass kirchliche Arbeitgeber nicht pauschal die Zugehörigkeit zu einer Kirche fordern dürfen. Eine solche Voraussetzung dürfe nur dann gestellt werden, wenn sie objektiv für die Ausübung der konkreten Tätigkeit notwendig sei. Das Gericht sprach Egenberger eine Entschädigung zu. Grundlage dieser Entscheidung war eine ähnliche Beurteilung des Europäischen Gerichtshofs.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe

Die Diakonie legte im Jahr 2019 Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein. Nach sechs Jahren Prüfung kam nun das Urteil. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass das Bundesarbeitsgericht das „plausibel“ dargelegte christliche Profil der Referentenstelle nicht ausreichend berücksichtigt habe. Laut den Richterinnen und Richtern habe das Bundesarbeitsgericht „die nach Maßgabe der EuGH-Rechtsprechung zu beachtenden Vorgaben zulasten des religiösen Selbstbestimmungsrechts der Kirchen und ihrer Einrichtungen überspannt“.

Der zweite Senat sah durch das Urteil von Erfurt das Grundrecht der Diakonie auf religiöse Selbstbestimmung verletzt. Damit wurde der Fall zur erneuten Entscheidung an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen. Aktenzeichen des Verfahrens lautet 2 BvR 934/19.

Reaktionen von Kirche und Diakonie

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Diakonie reagierten positiv auf das Urteil. „Das höchste deutsche Gericht hat für Klarheit gesorgt. Kirche und Diakonie dürfen in ihrer Einstellungspraxis in begründeten Fällen eine Kirchenmitgliedschaft ihrer Mitarbeitenden voraussetzen. Dies steht nicht im Widerspruch zum europäischen Antidiskriminierungsrecht“, sagte Diakonie-Vorstand Jörg Kruttschnitt.

Die Entscheidung wird von kirchlichen Trägern als Stärkung ihres Selbstverständnisses gesehen. Sie betonen, dass in bestimmten Positionen die persönliche Bindung an die Kirche unerlässlich sei. Kritiker hingegen weisen darauf hin, dass damit die Grenzen des allgemeinen Diskriminierungsschutzes neu bewertet werden müssen.

Bedeutung für zukünftige Verfahren

Das Urteil aus Karlsruhe hat weitreichende Folgen für zukünftige Arbeitsrechtsstreitigkeiten zwischen kirchlichen Einrichtungen und Bewerberinnen oder Bewerbern. Es schafft neue Maßstäbe für die Abwägung zwischen dem Recht auf Religionsfreiheit und dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht.

Damit steht fest, dass kirchliche Arbeitgeber in begründeten Fällen die Religionszugehörigkeit als Voraussetzung verlangen dürfen, wenn die Aufgabenstellung eine enge Verbindung zur kirchlichen Identität aufweist. Zugleich bleibt das Diskriminierungsverbot nach europäischem Recht bestehen, was künftige Entscheidungen weiterhin komplex machen dürfte.

Quelle: Berliner Morgenpost